Donnerstag, 28. Juni 2012

Ein offener Brief an die Spiegel-Redaktion

Bezugnehmend auf den Artikel „Im Troststadel“ von Nicola Abé, erschienen im Spiegel Nr. 24/11.06.2012


Werte Spiegel-Redaktion,


es ist äußerst beachtenswert, dass ihr Magazin offensichtlich Personen, die dem Zenit ihrer journalistischen Entwicklung erst zustreben, eine Plattform bietet, um auch ihre Werke einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen – insbesondere, da Sie zu diesem edlen Zweck in Kauf nehmen, am eigenen Qualitätsanspruch zu scheitern. Dies erachte ich als mutig und dafür können Sie sich meines Respekts gewiss sein!


Der Bericht war überaus lehrreich für mich. So weiß ich nach der Lektüre, dass es sich bei meinen Freunden (auf Seite 78 abgebildet, ich selbst hab’s wohl oder übel nicht aufs Bild geschafft) um Menschen handelt, die im Zeichen der Globalisierung von der Sehnsucht nach Heimat getrieben sind (S. 77). Sobald es der Anführer der abgebildeten Polonaise das nächste Mal schafft, von seinem Arbeitsplatz als Senior Project Manager auf Zypern einen Sprung „zu Hause“ vorbei zu schauen, werde ich mich aus Interesse natürlich sofort erkundigen, wie es ihm im Angesicht dieser sicherlich sehr belastenden Situation innerer Zerrissenheit ergeht.


„Der Mensch, der Volksmusik hört, ist ein treuer Fan. Er kauft sich noch CDs und Schlüsselanhänger“ – aber hallo! Auch da hat Frau Abé natürlich vollkommen ins Schwarze getroffen. Unsere Schlüsselanhängersammlungen sind beträchtlich und selbstverständlich kaufen wir CDs (und manchmal Nahrungsmittel, aber auch nur wenn’s unbedingt sein muss). Womit auch sonst sollten wir unsere Discmen füttern, um folglich „die Sicherheit in den immer gleichen Harmonien“ suchen? Am liebsten würden wir ja in Schellack investieren, aber da hat es die wie gewohnt stets am Puls der Zeit agierende Musikindustrie zugegebener Maßen geschafft, uns anachronistische Mittzwanziger technologisch abzuhängen. Was soll man sagen, die Welt dreht sich heut zu Tage einfach zu schnell für einfache Leute.


Aufmerksam gemacht hat mich überdies der Bildtext zu besagter Abbildung, ein externer Blick auf das Selbst kann ja nicht schaden, denk’ ich mir: „Man muss nicht schön sein, nicht reich oder erfolgreich, um dazuzugehören.“ Diesen Eindruck machen wir also, durchaus interessant. Gut, ob es sich bei den abgebildeten Personen um schöne Menschen handelt, ist gewiss Geschmackssache, ich persönlich finde ja schon. ...und reich sein muss man ja ohnehin nicht, Frau Abé selbst zitiert ja Marilena Kirchner „(...)ist er arm, is nix dabei. I hob koane bsondern Wünsche, nur – a Lausbua muass er sei“ – und die muss es ja wissen, immerhin hat sie den weiteren Ausführungen von Frau Abé folgend den Stadlstern gewonnen. Mir war dies nicht bekannt, da meine Freunde und ich Gäste der Generalprobe des Silvesterstadls waren und da wurde gar kein Stadlstern verliehen. Folgerichtig bedeutet dies also, dass Frau Abé an zwei Tagen hintereinander die Veranstaltung besucht haben muss – andernfalls hätte sie ja von einer Veranstaltung berichtet, an der sie gar nicht teilgenommen hat, was – unter uns gesprochen – natürlich viel zu unseriös wäre, um auf dieser Basis einen Bericht im Spiegel zu publizieren.


Ob es sich bei meinem Freundeskreis um erfolgreiche Menschen handelt oder nicht, ist gewiss subjektiv zu beurteilen. Ich nehme aber natürlich an, Frau Abé hat im persönlichen Gespräch herausgefunden, dass dem nicht so ist. Ich werde mich noch erkundigen, mit wem sie sich unterhalten hat, bisher bin ich leider noch vergeblich auf der Suche. (Aus)Bildung und Berufstätigkeit jedenfalls – und da gehe ich mit Frau Abé d’accord – spiegeln nicht unbedingt Erfolg wieder. So tut es natürlich nichts zur Sache, dass sich auf dem Bild in Summe fünf Akademische Grade und/oder Titel versammelt finden. Aber ganz so erfolglos können meine Freunde und ich dann auch wieder nicht sein, immerhin konnten sie sich zumindest problemlos die Eintrittskarten zur Veranstaltung leisten und lassen Sie sich gesagt sein: die sind nicht gerade günstig. Vielleicht sollten wir das Geld beim nächsten Mal aber ohnehin besser sparen und versuchen, mittels einer Journalisten-Akkreditierung Zutritt zu bekommen. Die notwendigen Anforderungen scheinen ja durchaus bewältigbar.


Und zu guter Letzt, meine Damen und Herren vom Spiegel: stellen Sie sich vor, es hat uns allen enormen Spaß gemacht, dort am Silvesterstadl. Ob es daran liegt, dass wir dort für ein paar Stunden Trost vor der großen weiten und fürchterlich beängstigenden Welt gefunden haben? Möglich. Bisher hatte ich stets vermutet, es lag vielleicht daran, dass wir uns am Ende der Veranstaltung - ohne genau zu wissen wie dies passiert ist – inmitten von zuvor aufgetretenen KünstlerInnen und ebenfalls den Trost suchenden Fans Autogramme schreibend auf der Bühne fanden. Oder daran, dass wir es uns in weiterer Folge im Backstage-Bereich gemütlich gemacht haben – zumindest bis zu dem Moment, an dem die bloße Frage danach, welcher „Act“ wir seien unsere zu diesem Zeitpunkt bereits vom Bierdunst benebelte Schlagfertigkeit entlarvte.


Einige Zeit bevor wir von einem recht bestimmt in Erscheinung getretenen Begleitkomitee zum Ausgang komplimentiert wurden, ließen es sich Schlagersängerinnen wie die angesprochene Marilena oder Simone nicht nehmen, sich mit uns Fotografieren zu lassen. Zumindest auf diese Personen haben wir dem Vernehmen nach wohl ganz schön, reich und erfolgreich gewirkt. Na immerhin.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir hätten Ihnen Geschichten erzählen können, da wären  Sie glatt vom Schreibtischsessel gekippt – und das Faszinierende daran: die sind sogar wirklich passiert :)


Herzlichst

Ein Lausbua