Montag, 11. Oktober 2010

Das Entsetzten, das ich empfand, war unbeschreiblich

...mit diesem treffenden Zitat aus Fear and Loathing in Las Vegas hat ein sehr guter Freund den Ausgang der gestrigen Wiener Wahlen kommentiert.
Der Wahlkampf war nicht gerade von Feingeistigkeit geprägt. Augenscheinlich waren zB die erschreckend schwachen Jugendkandidaten, gab's auch Kandidatinnen? Ich weiß es nicht, aufgefallen wären mir zumindest keine (was - wenn es welche gegeben hat - nicht für sie spricht). Auf Puls4 konnte man den Wahlkampfauftakt der Jugendorganisationen von Rot und Schwarz mitansehen - aber irgendwie auch wieder nicht: Es war nicht mitanzusehen, erbärmliche Darbietungen. Wenn diese Leute Österreichs zukünftige politische Elite sein sollen, na hui.
Der "Kick-off Event" der Roten glich einer von Selbstbeweihräucherung geprägten Veranstaltung, bei der ausschließlich ohnehin schon ideologisch verfestigte Pseudo-Moralritter den Bürgermeister und sich selbst feierten, damit aber ganz gewiss niemanden darüber hinaus erreichten. Noch schlimmer präsentierten sich aber doch die jungen Schwarzen. Einerseits aberwitzig-unterhaltsam (unfreiwillig), andererseits abgrundtief zum Fremdschämen. Getaugt hätte diese Krapfenwald-Gang lediglich für eine neue Clique bei "Saturday Night Fever", dort hätte man zumindest eher derartiges vermutet.
Informationsgehalt der ÖVP-Party im Moulin Rouge war, dass ein "geiler Wahlkampf mit geilen Themen und geilen Kandidaten" seitens der Schwarzen zu erwarten sei. Während sich die männlichen Nachwuchsyuppies ins Kameralicht drängten, waren die Frauen dazu abgestellt, nuttig (sorry, natürlich "lasziv") auf dem schwarzen Hummer - dem "Geilomobil" - zu posieren. Komisch, dass weder Geilomobil noch geile Themen (welche waren das nochmals?) Erfolg nach sich ziehen sollten. Ach ja, einen "Geilomat" gabs auch. Dabei handelte es sich um einen sogenannten Geilheitsspender, der aber anstatt der erwarteten Kondome (die wären den Schwarzen dann wohl doch zu kess gewesen, was hätte der Papst wohl dazu gesagt?!) Fruchtgummis spendete. Soviel zu "Schwarzem Humor".

Die Spitzenkandidaten waren mit zwei Ausnahmen (nicht überraschend erster und zweiter der Wahlen) profillos und schlecht positioniert. Die beiden unter denen man sich etwas vorstellen konnte, lieferten sich folgerichtig auch einen seltsamen Zweikampf, bei dem einer den anderen nicht als Kontrahenten wahrnahm und der andere mit Niveaulosigkeiten und Hetzte brillierte, ohne Skrupel, sich im nächsten Satz als "Opfer von Schmutzkübelkampagnen" zu geben. Wenn man sich die Wiener - oder die österreichische? -- oder die menschliche? - Seele vergegenwärtigt, verwundert es leider nicht, dass mit "alles ist gut, seid zufrieden"-Attitüde nichts dazuzugewinnen ist und die Zustimmung im Idealfall stabil bleiben kann. So überrascht das Ergebnis noch weniger. Eine Tatsache, die sich besonders in der Zeit einer noch (zumindest psychisch) allgegenwärtigen Krise niederschlägt. Das hätten Parteistrategen eigentlich wissen können.

Diffamierungen, scharfes, mehr als grenzwertiges Profil und eine klare Positionierung unterstützt von einem zweifellos konkurrenzlos gut inszenierten Angriffskrieg (was ua. fehlende moralische Barrieren möglich machten) waren bei dieser Wahl das Mittel zum Erfolg. Die FPÖ hat sich strategisch nur an jene Gruppen gewendet, bei der sie auch erfolgreich sein konnte. Die Blauen polarisierten - man war entweder gegen oder für sie, aber egal war diese Partei wohl kaum jemandem. Aus Kommunikations-Sicht zeigte sich dieses skrupellose Modell als erfolgreich. Die Wahlkampfstrategen fokussierten sich nahezu zur Gänze auf jene Teiche, in denen der von ihnen ausgeworfenen Köder auch auf hungrige Mäuler traf. In denen wollte man so viel als möglich fischen, die anderen ließ man links liegen.
Unzufriedenheit, Angst und gefühlter ungerechter Behandlung wurde das Wort gesprochen, "Blut und Boden" erleben eine Renaissance light. Der Trend vom ethnischen Rassismus zum kulturellen Rassimus fand leider auch Bestätigung.

Den Kleinparteien ist generell sehr wenig gelungen. Bei ihnen schien von hinten bis vorne nichts zu stimmen: unklare Ziele, nicht auf vorhandene Nischen fokussiert, SpitzenkandidatInnen ohne Appeal (BZÖ, KPÖ). Natürlich sind die Ressourcen bei diesen Parteien knapper, aber etwas inspirierter hätte man schon zu Werke gehen müssen. Wie wär's zum Beispiel mit der unreflektierten, hochgradig kritikanfälligen Idee gewesen, die unibrennt-Bewegung ins Rennen zu schicken? Wählerpotenzial hätte doch genug vorhanden sein müssen. Auf solcher oder ähnlicher Basis können durchaus auch Kleinparteien temporär erfolgreich sein.

Der Wahlkampf zur nächsten Wienwahl hat schon wieder begonnen. Die prinzipiell positive Verbannung der FPÖ aus ernsthaften Gesprächen (was hätte sie auch dort verloren?) wird nach sich ziehen, dass sich die FPÖ erfolgreich als Opfer stilisieren kann, das von allen anderen achsogemeinen Parteien gemobbt wird, weil diese sich fürchten. Was besseres könnte den Blauen gar nicht passieren.

Schlussplädoyer: Leider ist es so, dass Migration im Diskurs dieser Wahl als Wiener Problem diskutiert wird und wurde. Tatsächlich ist es jedoch ein globales Phänomen einer kleiner werdenden Welt. Migration ist schlichtweg ein Faktum. Das sagt nichts darüber aus, ob dieses Phänomen positiv oder negativ ist. Es IST. Dies hängt vom Umgang damit ab und leider besteht die Gefahr, aufgrund von Missgunst, Neid, Angst oder was auch immer, eine Self-Fulfilling-Prophecy zu konstruieren, deren Ursachen wiederum ausschließlich bei den "Fremden" (was immer das heißen mag) gesucht werden.